“Wen kümmert´s, wer spricht?”

Reaktion auf die Eröffnungsrede von Sascha Spoun zum Diversity Tag an der Uni Lüneburg
„In einer offenen Gesellschaft […], fragen wir nicht mehr danach, wer etwas sagt,(also nach Herkunft, nach Aussehen oder sexueller Orientierung) sondern danach, was diese Person sagt.“ Mit diesen Worten leitete Sascha Spoun den diesjährigen Diversity Tag der Uni Lüneburg am 18. Mai ein. Die Forderung, nicht mehr danach zu fragen, wer spricht ist derzeit in aller Munde. So reiht sich der Universitätspräsident in eine ganze Tradition von Autor*innen ein. 
Im Folgenden möchten wir kurz klarstellen, warum Spoun mit seiner Annahme falsch liegt und warum diese Fehleinschätzung gefährlich ist und dazu führen kann, dass effektive Antidiskriminierungsarbeit blockiert wird.
Auch wir wünschen uns eine Welt, in der es nicht mehr wichtig ist, wer spricht: Eine Welt, in der alle gehört werden. Doch auch wenn ein Konsens dahingehend besteht, dass strukturelle Diskriminierung abzulehnen ist, spielt es nach wie vor eine immense Rolle, wer spricht – denn immer noch entscheiden Merkmale wie etwa Herkunft, sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität oder sozialer Status darüber, wer sprechen kann.  Einfach aufzuhören, danach zu fragen, wer spricht, wird das Problem struktureller Diskriminierung nicht lösen, sondern im Gegenteil Ungleichheiten sogar noch verschärfen. 

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Die Istanbul Konvention gehört uns!

Es folgt ein Gastbeitrag von Arzu Korkmaz. Die Autorin kam 1974 als Kind einer politisch kurdischen Familie in Diyarbakır auf die Welt. In der Türkei arbeitete sie als Direktorin der Halkların Demokratik Partisi (HDP), um für Menschenrechte, die Rechte der Frauen und die Rechte aller marginalisierten Völker zu kämpfen. Nach wie vor ist sie in der Presseabteilung der Partei tätig. Durch den starken Druck auf die Pressefreiheit und die Verfolgung von Kritiker*innen in der Türkei musste sie ihr Land verlassen und wartet nun in Deutschland auf das Ende ihres Asylverfahrens.

Als einziges Gesetz, dass Frauen vor Gewalt schütz, wurde die Istanbul Konvention über Nacht von der faschistischen AKP Regierung annulliert. Unsere Genossinnen müssen als kämpferische und widerständige Subjekte, über allen Ideologien hinweg, über Partei-, Glaubens- und Religionsidentitäten hinweg, dagegen eine gemeinsame Kraft und Stimme der Frauen bilden. Auf nationalistische, sexistische männliche Politik müssen sie die notwendige Antwort geben. In einer Zeit, in der schreckliche Wirbel über das Land fegen, als würden politische, soziale und wirtschaftliche Probleme nicht reichen, versucht die AKP Regierung jedes Mal mit anderen Themen die Agenda zu verändern. Continue reading “Die Istanbul Konvention gehört uns!”

Das Private ist politisch – Also lasst uns darüber reden!

TRIGGERWARNUNG: Wir schreiben in diesem Beitrag über psychische Gewalt. Das kann retraumatisierend und triggernd wirken. Mach dir kurz Gedanken, ob du diesen Redebeitrag (jetzt gerade) lesen möchtest und kannst.

Der folgende Text ist in einer Arbeitsgruppe zu patriarchaler Gewalt entstanden und wurde als Redebeitrag auf unserer Demonstration am 7. März gehalten.
→ English translation

Ursprünglich wollten wir heute Zahlen nennen, wie viel patriarchale Gewalt wann und wo genau passiert ist in den letzten Jahren. Doch dann ist uns aufgefallen, wir kennen diese Zahlen, und ihr vermutlich auch. Wir kennen die Gewalt. Nicht nur, weil wir immer wieder darüber reden. Nein, weil viele von uns sie täglich erleben. Continue reading “Das Private ist politisch – Also lasst uns darüber reden!”

Die Krise steckt im System – zusammen gegen Kapitalismus und Patriarchat!

Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Redebeitrag unserer Arbeitsgruppe zu (Reproduktions)Arbeit und Kapitalismus, den wir sowohl zum 8. März, als auch im Rahmen der Demonstration “Shut down! Büros und Frabriken schließen – für eine solidarische Lösung der Corona-Krise” gehalten haben, die von unseren Genoss*innen bei Shut down Lüneburg organisiert wurde.  → English translation

Schon wieder 8.März, schon wieder ein Jahr vergangen. Das heißt auch: 1 Jahr Corona-Pandemie, 1 Jahr mehr oder weniger harte Maßnahmen zur Eindämmung. Wir vom feministischen Bündnis haben in diesem Jahr immer wieder festgestellt, dass die Krise, die Corona begleitet, auf unseren Rücken ausgetragen wird.

Vorab: Wir sprechen in unserem Beitrag von Reproduktionsarbeit. Den Begriff übernehmen wir von marxistischen Feminist*innen. Er beschreibt Tätigkeiten, die unser Leben und unsere Arbeitskraft erhalten. Das sind zum Beispiel Essen kochen, Wäsche waschen, aber auch die Erziehung von Kindern, die später einmal arbeiten werden und die Pflege von Kranken, damit sie wieder arbeitsfähig werden. Mit dieser Aufrechterhaltung und Widerherstellung des Lebens und des Wohlbefindens wird also auch unsere Gesellschaftsordnung, werden Kapitalismus und Patriarchat reproduziert – das heißt am Laufen gehalten.

Die Ausbeutung und Belastung von FLINTA* verstärkt sich in der Krise!

Ihr alle erinnert euch bestimmt noch daran wie im Frühling abends für Pfleger*innen, Ärzt*innen und andere Arbeiter*innen aus dem Gesundheitsbereich geklatscht wurde. Und vielleicht auch wie wenig sich seitdem an der Situation geändert hat. Die öffentliche Gesundheitsversorgung in Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten kaputt gespart. Das Merken nicht nur die vielen Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinären Trans und Ageschlechtliche Personen (ab jetzt FLINTA*) die im Gesundheitssektor arbeiten. Die Gewinnorientierung vieler Krankenhäuser und die Privatisierung im Gesundheitssystem, haben dazu geführt, dass wir zu wenig haben. Zu wenig Intensivbetten, zu wenig Schutzausrüstung und vor allem eins: zu wenig Personal. Medizinisches Personal, das in der Krise die eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, wird viel zu schlecht bezahlt und durch Zeit- und Personalmangel noch zusätzlich an die Grenzen der Belastungsfähigkeit gebracht. Sie erleben eine enorme Doppelbelastung durch die Sorge sich selbst, und dadurch auch Menschen in ihrem privaten Umfeld, bei der Lohnarbeit durch mangelnden Schutz anzustecken. Continue reading “Die Krise steckt im System – zusammen gegen Kapitalismus und Patriarchat!”

Wissenschaftsfreiheit? Nicht ohne Diskriminierungsschutz!

Anfang Feburar wurde die Gründung des “Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit” bekannt, dem bislang etwa 70 Wissenschaftler*innen angehören. In einer Pressemitteilung erklären sie, das gemeinsame Anliegen sei es,”die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen.”
Dieser Vorstoß lässt sich in eine Reihe öffentlicher Bekundungen (wie auch dem Appel für freie Debattenräume und dem Haper´s Magazine Letter) einordenen, die das Überhandnehmen von “Political Correctness” und einer angeblichen “Cancel Culture” beklagen.

Bisher haben sich dem Netzwerk keine Wissenschaftler*innen der Universität Lüneburg angeschlossen. Trotzdem zeigt der zögerliche Umgang mit dem Fall Asteriti, dass der Rechtsruck in den Debatten um Wissenschaftsfreiheit auch hier bereits angekommen ist. Immer wieder wurde uns gegenüber die Befürchtung geäußert, durch ein stärkeres Engagement einen medialen und hochschulinternen Backlash im Namen der Wissenschaftsfreiheit auszulösen. Aber was steckt hinter diesen Befürchtungen? Wieso sollte die Freiheit der Wissenschaft nicht mit Maßnahmen für einen effektiven Diskriminierungschutz vereinbar sein?

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