Die Krise steckt im System – zusammen gegen Kapitalismus und Patriarchat!

Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Redebeitrag unserer Arbeitsgruppe zu (Reproduktions)Arbeit und Kapitalismus, den wir sowohl zum 8. März, als auch im Rahmen der Demonstration “Shut down! Büros und Frabriken schließen – für eine solidarische Lösung der Corona-Krise” gehalten haben, die von unseren Genoss*innen bei Shut down Lüneburg organisiert wurde.  → English translation

Schon wieder 8.März, schon wieder ein Jahr vergangen. Das heißt auch: 1 Jahr Corona-Pandemie, 1 Jahr mehr oder weniger harte Maßnahmen zur Eindämmung. Wir vom feministischen Bündnis haben in diesem Jahr immer wieder festgestellt, dass die Krise, die Corona begleitet, auf unseren Rücken ausgetragen wird.

Vorab: Wir sprechen in unserem Beitrag von Reproduktionsarbeit. Den Begriff übernehmen wir von marxistischen Feminist*innen. Er beschreibt Tätigkeiten, die unser Leben und unsere Arbeitskraft erhalten. Das sind zum Beispiel Essen kochen, Wäsche waschen, aber auch die Erziehung von Kindern, die später einmal arbeiten werden und die Pflege von Kranken, damit sie wieder arbeitsfähig werden. Mit dieser Aufrechterhaltung und Widerherstellung des Lebens und des Wohlbefindens wird also auch unsere Gesellschaftsordnung, werden Kapitalismus und Patriarchat reproduziert – das heißt am Laufen gehalten.

Die Ausbeutung und Belastung von FLINTA* verstärkt sich in der Krise!

Ihr alle erinnert euch bestimmt noch daran wie im Frühling abends für Pfleger*innen, Ärzt*innen und andere Arbeiter*innen aus dem Gesundheitsbereich geklatscht wurde. Und vielleicht auch wie wenig sich seitdem an der Situation geändert hat. Die öffentliche Gesundheitsversorgung in Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten kaputt gespart. Das Merken nicht nur die vielen Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinären Trans und Ageschlechtliche Personen (ab jetzt FLINTA*) die im Gesundheitssektor arbeiten. Die Gewinnorientierung vieler Krankenhäuser und die Privatisierung im Gesundheitssystem, haben dazu geführt, dass wir zu wenig haben. Zu wenig Intensivbetten, zu wenig Schutzausrüstung und vor allem eins: zu wenig Personal. Medizinisches Personal, das in der Krise die eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, wird viel zu schlecht bezahlt und durch Zeit- und Personalmangel noch zusätzlich an die Grenzen der Belastungsfähigkeit gebracht. Sie erleben eine enorme Doppelbelastung durch die Sorge sich selbst, und dadurch auch Menschen in ihrem privaten Umfeld, bei der Lohnarbeit durch mangelnden Schutz anzustecken.

Besonders gefährdet sind in der Pandemie mal wieder von Rassismus betroffene und migrantisierte FLINTA*, die besonders oft in informellen und prekären Anstellungsverhältnissen arbeiten. Seit im Neoliberalismus beide Eltern arbeiten gehen müssen, wird viel Reproduktionsarbeit out-gesourced. Der Haushalt zum Beispiel wird von Haushaltshilfen übernommen, Kindererziehung von Betreuer*Innen und die Großeltern werden von der Pflegehilfe gepflegt. Diese Arbeit leisten hauptsächlich FLINTA* aus ökonomisch schwächeren Schichten oder Ländern. Und diese Arbeit ist durch Corona gefährlicher geworden. So haben wir zum Beispiel mitbekommen, dass eine Pflegerin jeden Tag der Woche in eine andere Wohnung musste und dafür nicht einmal Maske oder Handschuhe bekommen hat. Die Situation von Arbeiter*innen ist natürlich nochmal schwieriger, wenn sich sie sich nicht aufs Arbeitsrecht berufen können weil ihr Aufenthalt oder ihre Arbeit für illegal erklärt werden.

Besonders seit den 70er Jahren wurde Reproduktionsarbeit zunehmend auch zu Lohnarbeit. Der Staat oder Unternehmen haben Sorge und Verpflegung als Dienstleistungen angeboten, und dafür hauptsächlich FLINTA* in schlecht bezahlten Jobs ausgebeutet. Zum Beispiel in öffentlichen Krankenhäusern, aber auch in Kindertagesstätten oder Restaurants. Seit der Coid-19 Pandemie sind viele öffentliche Orte, an denen wir uns erholen konnten, wie Restaurants, Schwimmbäder oder Sportvereine geschlossen worden. Erziehung, Care-Gespräche, Kochen, Pflege – Diese Reproduktionsarbeit findet jetzt nicht mehr als Lohnarbeit statt, sondern wird wieder zurück nach Hause verlagert, wo sie unbezahlt und zu einem sehr großen Teil von FLINTA* geleistet wird.

Die konservative Krisenpolitik ignoriert und diskriminiert alle Beziehungsformen, die nicht die Hetero-Kleinfamilie sind!

Damit das funktioniert und FLINTA* zu Hause die Krise auffangen, wird rhetorisch auf das Modell der Kernfamilie zurückgegriffen. Die Kernfamilie beschreibt das Ideal von Mutter, Vater und zwei Kindern. Diese Kernfamilie und die Hetero-Ehe erfahren in Deutschland einen besonderen politischen Schutz. Schon im Normalzustand sollen sie Krisen und Unsicherheiten auffangen und ein sozialer Anker sein. Und auch in der Pandemie zeigt sich, dass die Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, genau diese Beziehungsform durchzusetzen. So waren zum Beispiel Fernbeziehungen, die keine Ehe waren, lange Zeit kein triftiger Grund zu Reisen. Oder die Richtlinie nur eine Kontaktperson pro Haushalt zu haben –  Liebe Bundesregierung schon mal von WGs oder Patchworkfamilien gehört?!  Ganz zu schweigen von Personen die zu dritt, viert oder mit noch mehr Menschen in gemeinsamen Beziehungen leben. Gemeinsame Spaziergänge sind gerade nur für Zweierpärchen gesetzlich erlaubt. Und warum müssen es romantische Partner*innenschaften sein, auf die wir unsere sozialen Bedürfnisse reduzieren. Warum kann eine Freund*inneschaft nicht als ebenso wichtig anerkannt werden?

Der konservative Fokus auf den alleinigen Schutz der Kernfamilie liefert FLINTA* verstärkt Gewalt durch Partner*innen und Familie aus!

Die Kernfamilie entspricht für die meisten Personen in Deutschland einfach nicht der Lebensrealität. Und dort wo sie es tut, ist sie für viele kein sicherer Ort. Durch Stay-At-Home und die Schließung öffentlicher Orte ist es auch zu einem krassen Anstieg von häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt gegen FLINTA* gekommen. In Deutschland wurden 2021 bereits 32 Frauen und 6 Kinder zumeist durch ihre Partner oder Expartner ermordet und 41 weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt. Und dieses Jahr ist gerade mal 66 Tage alt.

Der Schutz der Kernfamilie lässt sich also nicht damit begründen, dass es um die Bedürfnisse der Menschen geht. Vielmehr steht der Schutz der Kernfamilie dafür die patriarchale und kapitalistische Ordnung auch gegen die Bedürfnisse und auf Kosten der Sicherheit von FLINTA* durchzusetzen.

Die Kernfamilie und die Trennung von Reproduktion und Produktion dient den Interessen von Staat und Kapital!

Statt um eine natürliche Ordnung, geht es bei der Kernfamilie um etwas das historisch entstanden ist. Die Trennung von Produktion und Reproduktion ist eine Grundlage für die Entwicklung des Kapitalismus. Im Kapitalismus wird die Arbeitskraft zur Ware, also zu etwas das ich verkaufen kann und muss. Dabei wird unsichtbar, dass ich diese Arbeitskraft nicht automatisch habe. Damit ich am Arbeitsplatz mein Pensum leisten kann, ist einiges an Aufwand nötig, geschmierte Brote, gebügelte Kleider, die täglichen Übungen gegen Rückenschmerzen am Schreibtisch. Während die einen Tätigkeiten also zu einer bezahlten Ware werden, werden die anderen gleichzeitig unsichtbar. Und weil der Lohn scheinbar ausdrückt was meine Arbeit wert ist, ist das Kloputzen und Geschirrspülen zu Hause scheinbar nichts wert.

Trotzdem ist gerade die unbezahlte Reproduktionsarbeit wichtig für den Kapitalismus. Der feministische Ruf “Ohne uns steht die Welt still” ist mehr als nur eine Phrase oder ein Transpi-Spruch. Denn der Kapitalismus ist darauf angewiesen, dass Lohnarbeiter*innen so versorgt werden, dass sie arbeiten können. Und dass sie sich vermehren, Kinder haben, diese versorgen und bilden, damit sie später selbst arbeiten können. Ohne Reproduktionsarbeit keine Arbeitskraft, die ausgebeutet werden kann. Auch der Staat ist ebenso darauf angewiesen, dass die Bevölkerung gesund ist, arbeitet und sich vermehrt. Wo FLINTA* unterbezahlt oder unbezahlt Abendessen kochen, Angehörige pflegen, und im Home-Schooling Lehrtätigkeiten übernehmen, ist der Staat entlastet.

In der Familie werden FLINTA* mit der Reproduktionsarbeit allein gelassen.  Mütter stehen morgens alleine in der Küche und schmieren Stullen für die Kinder. Alleine können wir uns aber schlechter gegen die Ausbeutung wehren, als in einer großen Belegschaft zusammen mit Kolleg*innen. Es gibt keine gewerkschaftliche Vernetzung, keine Interessensvertretung. Getrennt von der Lohnarbeit, unsichtbar gemacht und abgewertet lässt sich Reproduktionsarbeit durch FLINTA* in der Familie besonders gut ausbeuten. Zuhause gibt es keine Lohnerhöhung und keinen Feierabend.

Dass das auch gegen die Interessen und Bedürfnisse von FLINTA* funktioniert, liegt nicht an einer natürlichen Aufgabenteilung. Vielmehr wurde diese patriarchale Rollenaufteilung im Kapitalismus kulturell gefestigt. Der Fokus auf die Kernfamilie als kleinste soziale Einheit wurde sogar im Grundgesetz festgeschrieben. Diese Ideologie nennt sich Familismus. Das meint, dass bestimmte Rollen und Aufgaben als natürliche, und einzig sinnhafte Ordnung dargestellt werden. Auch wenn Abweichungen von dieser Norm möglich sind, und queere und feministische Kämpfe Freiheiten erstreiten konnten: Die heterosexuelle Kleinfamilie wird weiterhin systematisch vorausgesetzt und bestimmt die Gestaltung des Sozialstaats.

Auch in der Corona-Pandemie nutzen Staat und Kapital die bürgerliche Kleinfamilie.

So sehen wir zum Beispiel gerade, dass ein Großteil der Nachteile ins Private und damit in den Bereich der Reproduktion verlagert werden. Zum Beispiel indem unsere Freizeitkontakte eingeschränkt werden, während wir weiterarbeiten müssen. Oder indem unsere Kinder zu Hause bleiben und wir sie Betreuen müssen, dafür aber keine Zeit vom Arbeitgeber bekommen. Und so mal wieder die Last der Pandemie auf Familien und in das Privatleben abgewälzt. Auch in der Corona Pandemie nutzen Staat und Kapital die Abwertung von FLINTA* und ihrer Arbeit um weiter Profite zu machen. Es ist kein Zufall, dass Pharmakonzerne mit Impfstoff-Patenten Gewinne machen können, während Pfleger*innen ohne Schutzausrüstung arbeiten müssen.

Der Fokus der staatlichen Maßnahmen auf die Kleinfamilie ist also zugunsten von Staat und Kapital und zu Lasten von FLINTA. Das heißt auch: Unsere Interessen als FLINTA müssen gegen Staat und Kapital durchgesetzt werden. In diesem Sinne: Lasst uns Patriarchat und Kapitalismus gemeinsam überwinden!

Feminismus heißt Arbeitskampf, Arbeitskampf heißt Feminismus.