Femizide, häusliche Gewalt und Corona

Wir veröffentlichen hier einen Artikel den wir für die Sommerausgabe der Zeitschrift Graswurzel Revolution geschreiben haben und der dort am 20. Juni veröffentlicht wurde. Ergänzt haben wird die Änderungen, die wir im Rahmen des Langen Marsches der kurdischen Jugend im September für einen Redebeitrag hinzugefügt haben. Sie werden kursiv gekennzeichnet

Am 25. April hielten Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre und trans Personen (FLINT*) in Lüneburg eine Kundgebung zum Thema Femizide und häusliche Gewalt ab. Anlass war unter anderem der Femizid an Besma Akinci, welche am 20.04. in Einbeck bei Northeim von ihrem Ehemann getötet wurde. Der folgende Text entstand im Nachgang dieser Kundgebung und wurde von Aktivist*innen des feministischen 8. März Bündnis Lüneburg verfasst. In dem Artikel wird Gewalt gegen FLINT* thematisiert und beschrieben. Das kann retraumatisierend und triggernd wirken.

Frauen wurden jahrhundertelang als Eigentum der Männer betrachtet. Bis zur rechtlichen Gleichstellung im Jahr 1958 wurden in Deutschland Männer per Gesetz zum Vormund der angeblich unmündigen Frau erklärt. (1) Erst 1976 wurde die explizite Verantwortung der „Frau“ für den Haushalt aus dem BGB gestrichen. Was vor nicht allzu langer Zeit noch geltendes (Un-)Recht war, wirkt sich bis heute gewaltsam aus. Die Gesetze wurden zwar abgeschafft, aber das patriarchale Denken dahinter besteht fort. So erfahren wir als FLINT* aufgrund unseres Geschlechts oder unserer Sexualität die Gewalt einer patriarchalen Gesellschaft, die Weiblichkeit abwertet und als weiblich wahrgenommene Personen entmündigt und verkindlicht. Die Gewalt einer Gesellschaft, die uns ein binäres Geschlechterkonstrukt aufzwingt und uns nicht nur psychisch darauf zurichtet. Verstümmelung an inter Kindern ist in Deutschland gängige Praxis. Weder über unsere geschlechtliche Identität noch über unsere Körper dürfen wir frei entscheiden. Das Transsexuellengesetz und die Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch beschneiden unsere Selbstbestimmungsrechte grundlegend. Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch im Privaten äußert sich diese Diskriminierung: Körperliche und psychische Gewalt gehören zum Alltag von FLINT*. Continue reading “Femizide, häusliche Gewalt und Corona”

Solidarität mit Unfug!

Wir, Frauen, Lesben, trans, nicht-binäre und inter Personen (FLINT*) solidarisieren uns mit den Bewohner*innen und Aktivist*innen der aktuell von Räumungen bedrohten linken Wohnprojekten. An erster Stelle mit den Freund*innen von UNFUG in Lüneburg, die teilweise durch die unmenschliche Wohnpolitik der Stadt wohnungslos geworden sind. Außerdem gilt unsere volle Solidarität heute besonders der Rigaer94 in Berlin, die in den letzten zwei Tagen Repression, Teilräumungen und Schikanen durch die Polizei und den angeblichen Eigentümer des Hauses ertragen mussten.

Uns ist wichtig zu betonen, dass private Räume, Beziehungen und Formen des Zusammenlebens politisch sind und immer waren. Der Versuch Freiräume zu schaffen, ist notwendig damit wir uns, unsere Beziehungen und unser Verhalten außerhalb herrschender Verhältnisse erfahren und grundsätzlich verändern können. Auch wenn wir uns als FLINT* Personen im Bündnis treffen, versuchen wir in kleinem Rahmen einen anderen, solidarischeren Umgang zu ermöglichen. Die Räume in denen wir zusammen Wohnen und Leben grundlegend umzugestalten ist auch Selbstbestärkend und gibt uns neue Handlungsfähigkeit. Es zeigt uns, dass wir Geschlechterrollen und Familienbilder kritisieren und verändern können, die FLINT* ausschließen, belasten oder Gewalt aussetzen. Aus feministischer Perspektive sehen wir in diesen alternativen Wohnformen die Chance, Care-Arbeit zu vergemeinschaftlichen, Familienmodelle aufzubrechen und somit Familie und Gemeinschaft neu zu denken. Zum Beispiel ist es in Hausprojekten möglich, Erziehungsarbeit  gleichberechtigter aufzuteilen, da nicht aufgrund von hohen Mieten eine Person (meistens der Vater) die “Ernäherrolle” übernehmen muss. Außerdem können durch gemeinsame Kinderbetreuung alle Eltern, insbesondere Alleinerziehende entlastet und unterstützt werden.

Hausprojekte und Häuserkampf wurden über Jahrzehnte durch die feministische Bewegung mitgestaltet und haben Handlungsräume, Schutzräume und Kämpfe ermöglicht. Linke Freiräume sind nicht die befreite Gesellschaft und auch hier wurde das Patriarchat noch nicht abgeschafft – aber das, was hier erkämpft wurde müssen wir auch aus feministischer Perspektive verteidigen!

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Jeder Tag ist Frauenkampftag – Heraus zum 1. Mai!

Am 1. Mai, dem Internaltionalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse haben wir als Bündnis eine gemeinsam Kundgebung organisiert. Hier lest ihr unsere Pressemitteilung:

“Heute sind 32 Frauen, Lesben, inter, nicht-binären und trans Personen (im Folgenden: FLINT*) an der Kreuzung zwischen Soltauer und Uelzener Straße um zu zeigen: Feminismus heißt Arbeitskampf, Arbeitskampf heißt Feminismus. Als Bündnis “Feministischer 8. März Lüneburg” gehen sie heute für einen feministischen 1. Mai auf die Straße und machen auf geschlechterspezifische Ausbeutung von FLINT* aufmerksam. Bei der angemeldeten und genehmigten Kundgbeung werden Sicherheitsabstände gewahrt und Infektionsschutzauflagen eingehalten. Mira T., eine der Protestierenden, unterstreicht: “Trotz und gerade wegen der COVID-19 Pandemie ist es uns wichtig am Tag der Arbeiter*innenklasse auf die Straße zu gehen: Diese Krise verschärft unsere Ausbeutung und Unterdrückung!”

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Kundgebung gegen Frauenmorde und Partner*innengewalt

Am Samstag waren wir zum ersten Mal seit dem 8. März wieder gemeinsam auf der Straße um gegen die gleiche geschlechter-basierte Gewalt und die Femizide zu protestieren, die wir schon vor der Covid-19 Krise erlebt haben. Die verschärfte Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt und insbesondere die Femizide an Besma Akinci in Einbeck und an einer weiteren Frau in Leipzig haben uns traurig und wütend gemacht. Mit 30 Frauen, Lesben, inter, nicht-binären und trans Personen (FLINT*) haben wir daher gemeinsam an der Kreuzung Reichenbachstraße/ Vor dem Bardowicker Tore gegen diese patriarchale Gewalt protestiert, die uns alle – wenn auch ungleich – betrifft.
Wir verlangen ein Ende von Verharmlosung und rassistischer und rechter Vereinnahmung von Gewalt gegen FLINT*! Wir brauchen Solidarität und Schutz für alle! Hier findet ihr unsere Pressemitteilung:

Am Samstag den 25 April versammelten sich 30 FLINT-Personen, an der Kreuzung beim City Penny um gegen Femizide, partnerschaftliche Gewalt und Gewalt an FLINTs zu demonstrieren. FLINT steht für Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre und trans Personen. An der Kreuzung Reichenbachstraße/ Vor dem Bardowicker Tore standen 15 Paare mit Transparenten auf denen z.B. “Allein 2020 65 Femizide in Deutschland”, “Mord aus Liebe gibt es nicht”, “Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind- Femizide sind keine Familientragöden/Eifersuchtsdramen” stand. Die Kundgebung war ordnungsgemäß angemeldet. Alle Teilnehmer*innen achteten auf Sicherheitsabstände und trugen Masken zum Infektionsschutz. Die Feminist*innen organisieren sich über das Bündnis “Feministischer 8. März Lüneburg”, mit dem sie zuletzt am 8.März auf die Straße gegangen waren.

Eine der Feministinnen, Franziska H., dazu: “Wir demonstrieren hier heute, weil wir alle aufgrund unseres Geschlechts Gewalt erfahren. Wir erfahren die Gewalt einer patriarchalen Gesellschaft, die Weiblichkeit abwertet. Eine Gesellschaft, in der wir  gerade Zuhause nicht alle sicher sind.”

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Jeder Feminizid ist ein Feminizid zuviel!

Am 15. April kam es zu einem Femizid an Besma Akinci in Einbeck. Dazu teilen wir hier mit euch eine gemeinsame Stellungnahme mit den Genoss*innen und Freund*innen von „Gemeinsam Kämpfen“:

Wir sind zutiefst bestürzt, traurig und wütend über die Nachricht, dass am Mittwoch, den 15. April, die 27-jährige Besma Akinci in Einbeck bei Northeim getötet worden ist. Besma war Mutter von drei kleinen Kindern und wurde offenbar von Cemal Akinci (55 Jahre), mit dem sie verheiratet war, ermordet.
Besma Akinci war gezwungenermaßen aufgrund des 74. genozidialen Massakers aus Şengal nach Deutschland geflohen. Unser tiefstes Beileid sprechen wir der Familie, Angehörigen und Freund*innen von Besma Akinci aus. Geschlechterbasierte Gewalt in Zeiten von Covid-19. Die Coronakrise ist keine „neue“ Realität sondern eine Demaskierung der Realität: verschiedene Formen von Gewalt, die Frauen* ohnehin im kapitalistischen Patriarchat erfahren, werden unter den derzeitigen Umständen von Isolation und gesamtgesellschaftlicher Unsicherheit noch verstärkt. Wir müssen die Morde an Frauen*, auch in Zeiten von Corona, als das bezeichnen, was sie sind, nämlich Feminizide.

Der Begriff Feminizid beschreibt die strukturellen Gegebenheiten, die dazu beitragen, dass Frauen* aufgrund ihres Geschlechts Gewalt erfahren, bis hin zur Ermordung. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung, die Feminizide auf unterschiedlichen Ebenen begünstigt, sei es die juristische Straffreiheit, die soziale Straffreiheit oder die politische Unsichtbarkeit. All das führt zur Normalisierung der gewaltvollen Zustände, zum Wegschauen, Schweigen und schließlich Verstummen.

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