Zusammen gegen die Fundamentalist*innen

Der folgende Text wurde in gekürzter Form von uns als Redebeitrag auf unserer Demonstration “Feministisch kämpfen! Sexismus wegfegen!” am 31. Oktober in Lüneburg gehalten. Wir haben ihn nocheinmal aktualisiert und möchten ihn jetzt in seiner Form vom 12. November 2020 mit euch teilen.
(English below)

Zusammen gegen die Fundamentalist*innen! Solidarität mit Aktivist*innen und Betroffenen in Polen!

Faktisches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen

Am 22. Oktober hat das Verfassungsgericht in Polen das Recht auf Abtreibungen faktisch komplett abgeschafft. Dies geht auf einen Antrag der regierenden nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) zurück. Seit 1993 waren die Gesetze bereits ultra restriktiv, da seitdem Schwangerschaftsabbrüche nur noch in wenigen Ausnahmefällen erlaubt waren: Bei gesundheitlicher Gefahr für die schwangere Person, nach einer Vergewaltigung, bei Inzest und bei einer schwerwiegenden Fehlbildung des Fötus. Letzteres wurde nun verboten, obwohl 98% (1) der Abtreibungen in Polen aus embryopathischen Gründen durchgeführt werden mussten, weshalb das Urteil des politischen Verfassungsgericht einem kompletten Verbot von Abtreibungen gleichkommt. Die Person, die hinter dem jetzigen Verbotsantrag steht, drohte bereits, dass es nur eine Frage der Zeit sei bis Abtreibungen aufgrund von Vergewaltigungen oder Inzest ebenfalls verboten werden sollen (2).’

Anfang November wurde bekannt, dass durch die anhaltenden Proteste und durch den landesweiten Streik tausender Menschen in Polen, die Gesetzesänderung vorerst nicht veröffentlich wird und somit das Gesetz nicht in Kraft tritt (3). Trotzdem müssen wir auf die prekäre Situation in Polen und europaweit aufmerksam machen. Denn es ist durchaus zu befürchten, dass dieser Schritt nur ein taktisches Manöver darstellt und das Gesetz dann eingeführt wird, wenn die Aufmerksamkeit und die Proteste abgeflacht sind. Nachdem das Verfassungsgericht das aktuelle Gesetz für verfassungswidrig erklärte, ist es der Regierung jeder Zeit möglich, das Urteil zu veröffentlichen und somit das neue Gesetz in Kraft zu setzen (3). Nicht zuletzt, wurde die faktische Abschaffung des Abtreibungsrechts, von Aktivist*innen in Polen seit einigen Jahren befürchtet. Schon 2016 gab es Versuche, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen was nur durch die sogenannten ‘Schwarzen Proteste’ verhindert werden konnte. Damals zwangen Streiks, Online-Petitionen und Demonstrationen in vielen Städten in und außerhalb Polens die Regierungspartei PiS von ihrer ursprünglichen Zustimmung zur Verschärfung abzusehen (4). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die Regierung langfristig von ihren restriktiven Plänen abrückt. Wiederholt zeigt sich also, dass nur massive Proteste und umfassende Streiks die Regierungspartei davon abhalten können, ihre antifeministische Agenda durchzusetzen.

Antifeministische Angriffe auf FLINTA* und Queers

Zusammen mit der katholische Kirche Polens hat die polnische Regierung der sogenannten “Gender-Ideologie” den Kampf angesagt. Diese sehen sie als ursächlich für “Hypersexualität, Homosexualität, Feminismus, Transgenderismus und einen Angriff auf traditionelle Vorstellungen von Ehe und Familie” an (5). Mit dem Bezug auf die sogenannte “Genderideologie” folgen die Regierung und die katholische Kirche Polens jedoch nur einer Rhetorik des Vatikans, die seit Mitte der 90er Jahre eingesetzt wird, um “die Trennung von biologischen und sozialen Geschlechtern im Bereich politischer Propaganda zu platzieren” (6, S. 43). Das funktioniert vor allem deshalb, weil Ideologie in weiten Teilen der Gesellschaft als etwas verstanden wird, von dem die westliche kapitalistische Welt sich frei gemacht habe (6). Durch diese antifeministische, homofeindliche, transfeindliche und misogyne Rhetorik und Sichtweise soll sowohl erreicht werden, dass sich Menschen wieder hinter den “traditionellen Werten” zusammenrotten, aber eben auch um Feminist*innen und andere Menschen, die sich für eine befreite Gesellschaft einsetzen, anzugreifen (6). Die Rhetorik der PiS  hat neben der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes auch zu anderen schwerwiegenden Einschnitten geführt. Rechte Aktivist*innen und Fundamentalist*innen bekämpfen sowohl Rechte von LGBTIQ*-Personen als auch Initiativen gegen Gewalt an Frauen und Sexualkunde im Schulunterricht (5).

Beispielsweise hat die polnische Regierung bereits den Austritt aus der Istanbul Konvention angekündigt, mit der sich die EU-Staaten der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch praktische Maßnahmen verschrieben hatten. Ein besonders gewaltvoller und bedrohlicher Prozess ist vor allem aber das Schaffen von LGBTIQ* freien Zonen. Diese Zonen beeinträchtigen die körperliche und psychische Sicherheit und Gesundheit von queeren Menschen in Polen massiv. Hierunter fallen mittlerweile ca. 1/3 Polens (7). Außerdem wurde erst kürzlich von der Person, die auch den jetztigen Verbotsantrag initiiert hat, ein weiterer Gesetzesvorschlag vorgelegt. Dieser würde unter anderem Pride-Märsche und jegliche Zusammenkünfte verbieten , welche ein den cis-heteronormativen Vorstellungen nicht entsprechenden Lebensstil unterstützen (8). Wie hierzulande berufen sich die Menschenfeinde dabei auf ihre ‘Meinungs- und Religionsfreiheit’, sprechen aber faktisch bestimmten Personen ihr Recht auf freie Entfaltung ab. Als Konsequenz, zeigt sich hier, werden Menschen nicht nur aus bestimmten Gebieten verdrängt, sondern in ihrer gesamten Existenz bedroht.

Wer sind die Abtreibungsgegner*innen?

Das strategische Vorgehen der Antifeminist*innen charakterisiert sich dadurch, dass Rechte für LGBTIQ*und Frauen zu Gegensätzen der Freiheit stilisiert werden. “Das sich vornehmlich auf einer legislativen und judikativen Ebene abspielende Aktionsfeld behandelt – je nach Länderkontext – Schwangerschaftsabbrüche, die Ehe für alle, Trans*- und Inter*rechte als negative Bezugspunkte und stellt ihnen positive Bezugspunkte, nämlich Meinungs-, Religions- und Gewissensfreiheit sowie Väter-und Männerrechte entgegen”(6, S.68). 

Dem katholischen Glauben zufolge sind die Befruchtung einer Eizelle und deren ‘Beseelung’ identisch. Anders etwa im Judentum und im Islam, die von 40 Tagen beziehungsweise 120 Tagen ausgehen in denen die ‘Menschwerdung’ stattfindet (9). Aus dieser Ideologie heraus lässt sich erklären, warum vor allem die katholische Kirche das Selbstbestimmungsrecht von gebärfähigen Menschen bekämpft! 

Katholische Fundamentalist*innen haben in Polen einen besonders starken Einfluss, sie verstärken ihren antifeministischen Aktivismus zur Zeit allerdings weltweit. So gewinnen auch in den USA Abtreibungsgegner*innen mit der Ernennung der erzkonservativen Katholikin Amy Barret zur neuen Richterin am Supreme Court an Boden. Gerade jetzt in der globalen Covid-19-Pandemie sehen wir wie reproduktive Rechte beschnitten oder weiter angegriffen werden (10). In Deutschland organisieren christliche Fundamentalist*innen jährlich ‘Märsche für das Leben’. Die Abtreibungsgegner*innen sind aber nicht nur auf der Straße anzutreffen, sondern auch im Bundestag. Dies zeigen die Debatten zur Streichung der Paragraphen §218 und §219 aus dem Strafgesetzbuch (11).

Für uns haben Schwangerschaftsabbrüche ebensowenig im Strafgesetzbuch zu suchen, wie in religiösen Lehren, sondern gehören zu einer medizinischen Grundversorgung! Ein mitleidsvoller Blick auf die Restriktionen in Polen verschleiert nur die Entmündigung von potentiell schwangeren Personen auch in Deutschland. Nur eine endgültige Streichung der Paragraphen §218 und §219 aus dem deutschen StGB ermöglicht eine selbstbestimmte Entscheidung über Schwangerschaften!

Reproduktive Selbstbestimmung

Bei unserem gemeinsamen Kampf für Reproduktive Rechte ist es deshalb besonders wichtig, sich zusammen zu schließen! Dabei darf es nicht nur bei “Pro-Choice” Forderungen bleiben, denn der alleinige Fokus auf das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren bewirkt ein Ausblenden der gesellschaftlichen Bedingungen, die eine Entscheidung für oder gegen ein Kind stark beeinflussen.

Um dieses Problem sichtbar zu machen, haben Schwarze Feminist*innen den Begriff der Reproduktiven Gerechtigkeit geprägt. Darin wird das Recht auf Selbstbestimmung von allen FLINTA* Personen um wesentliche Punkte erweitert. Denn Menschen mit Gebärmutter sind nicht nur Entmündigungen bezüglich eines Abbruchs ausgesetzt, sondern es wird ihnen auch das Recht abgesprochen überhaupt schwanger zu werden oder selbst Entscheidungen über Entbindungsmöglichkeiten zu treffen (12). Damit die Wahl für oder gegen ein Kind wirklich selbstbestimmt getroffen werden kann, müssen ebenso die rassistischen, queerfeindlichen und ausbeuterischen Verhältnisse abgeschafft werden!
Solidarität ist unsere Waffe
In diesem Sinne solidarisieren wir uns mit den anhaltenden Protesten in Polen! Die Aktivist*innen sind immer wieder sowohl Übergriffen durch Fundamentalist*innen und Rechten ausgesetzt, als auch enormer staatlicher Repression. Vor allem beim Versuch den Protest in die Kirchen zu tragen kam es zu gewaltvollen Attacken auf Feminist*innen. Zu diesen selbstorganisierten ‘Schutzmaßnahmen’ hatten Teile der Regierung aufgerufen.
Bildet Banden und organisiert euch! Vernetzt euch in feministischen Gruppen vor Ort und informiert euch weiter über die Situation in Polen! 
Aborzja jest ok! Safe Abortions everywhere! Gegen jeden Antifeminismus,  für volle reproduktive Selbstbestimmung und für den Zugang zu sicheren Abtreibungen in Polen und weltweit!
Möglichkeit zu Spenden:
Ciocia Basia (Tante Barbara) ist ein informelles, ehrenamtliches, in Berlin ansässiges Kollektiv, das ungewollt Schwangeren aus Polen hilft, eine sichere und legale Abtreibung in Deutschland durchzuführen oder Zugang zur einer Abtreibung mittels Medikamenten verschafft.  https://de.gofundme.com/f/support-ciocia-basia
Weitere Informationen: 
Quellen:
(6) Autor*innenkollektiv Fe.In (2020): Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt. Verbrecher Verlag Berlin.

(12) Für weitere Infos zu Reproduktiver Gerechtigkeit: https://repro-gerechtigkeit.de/de/


Together against the fundamentalists! Solidarity with activists and everyone affected in Poland!

De facto ban on abortions in Poland

On 22 October, the Constitutional Court in Poland effectively erased the right to abortion in its entirety. This follows an appeal by the ruling national conservative party Prawo i Sprawiedliwość (PiS). Since 1993, the laws were already extremely restrictive, as abortions were only allowed in a few exceptional cases: In case of health risk to the pregnant person, after rape, in case of incest and in case of a serious malformation of the fetus. The latter was now banned, although 98% (1) of abortions in Poland had to be performed due to embryopathic reasons, which is why the ruling of the political Constitutional Court is akin to a total ban on abortion. The person behind the current ban had previously threatened that it would only be a matter of time before abortions for rape or incest are also to be banned (2)’.

At the beginning of November it became apparent that due to the continuing protests and the nationwide strike of thousands of people in Poland, the amendment would not be published for the time being and therefore the law would not come into force (3). Nevertheless, we must draw attention to the precarious situation in Poland and throughout Europe. After all, it is justified to suspect that this step is only a tactical manoeuvre and that the law will be introduced once the attention and protests have subsided. Now that the Constitutional Court has declared the current law to be unconstitutional, the government can issue the ruling at any time and thus bring the new law into force (3). Last but not least, the practical elimination of the right to abortion has been feared by activists in Poland for several years. As early as 2016 there were attempts to impose stricter abortion laws, which could only be prevented by the so-called ‘black protests’. At that time, strikes, online petitions and demonstrations in many cities in and outside Poland forced the ruling party PiS to abandon its original agreement to tighten the law (4). It is therefore unlikely that the government will abandon its restrictive plans in the long term. Repeatedly it has transpired, that only massive protests and comprehensive strikes can stop the ruling party from implementing its antifeminist agenda.

Antifeminist attacks on FLINTA* and queers

Together with the Catholic Church of Poland, the Polish government has declared war on the so-called “gender ideology”. They see this as the cause of ” hyper-sexuality, homosexuality, feminism, transgenderism and an attack on traditional ideas of marriage and family” (5). In referring to the so-called “gender ideology”, however, the government and the Catholic Church of Poland are merely following a rhetoric of the Vatican, which has been used since the mid-1990s to “place the separation of biological and social sexes in the realm of political propaganda” (6, p. 43). This works particularly well because in many parts of society ideology is (falsely) considered to be something from which the western capitalist world has freed itself (6).

This anti-feminist, homophobic, trans-feminist and misogynist rhetoric and viewpoint are designed not only to make people rally behind “traditional values”, but must also be understood as an attack on feminists and other people working for a liberated society (6). In addition to the tightening of the abortion law, the rhetoric of the PiS has also led to other serious incidents. Right-wing activists and fundamentalists are attacking both the rights of LGBTIQ* individuals, initiatives that fight against gender based violence as well as sex education in schools (5).

For example, the Polish government has already announced its withdrawal from the Istanbul Convention, which requires EU countries to combat violence against women and domestic violence through practical measures. A particularly violent and threatening development is the creation of LGBTIQ* free zones. These zones massively affect the physical and psychological safety and health of queer people in Poland. They now cover about 1/3 of Poland (7). In addition, a further legislative proposal has recently been presented by the same person who initiated the current ban. This would, among other things, ban Pride marches and all gatherings that support lifestyles that do not conform to cis-heteronormative ideas (8). As in Germany, the misanthropists invoke their ‘freedom of opinion and religion’, but in fact they deny certain people their right to express themselves freely. Consequently, as can be observed here, people are not only ousted from certain areas, but their entire existence is threatened.

Who are the anti-abortion activists?

The strategic approach of the anti-feminists is characterised by the fact that rights for LGBTIQ*and women are framed as opposing freedom. “Depending on the country context, the field of action, which takes place primarily at a legislative and judicial level, treats abortion, marriage for all, trans* and inter* rights as negative points of reference and contrasts them with positive points of reference, namely freedom of expression, religion and conscience, as well as fathers’ and men’s rights”(6, p.68).

According to the Catholic faith, the fertilisation of an egg and the creation of the “soul” are identical. This is different in Judaism and Islam, which assume 40 days and 120 days respectively as the time which is required for the development of a human life (9). This ideology explains why the Catholic Church in particular is fighting against the right of self-determination of people who are capable of bearing children! On these ideological grounds, it can be explained why the Catholic Church in particular is fighting against the right of self-determination of people who are capable of bearing children!

Catholic fundamentalists have a particularly strong influence in Poland, but they are currently stepping up their antifeminist activism worldwide. In the USA, anti-abortion activists are gaining ground with the appointment of the arch-conservative Catholic Amy Barret as the new Supreme Court judge. Especially now in the global Covid 19 pandemic we see reproductive rights being curtailed or further attacked (10). In Germany, Christian fundamentalists organise annual ‘marches for life’. The anti-abortionists are not only to be found on the streets, but also in the Bundestag. This is shown by the debates about the deletion of paragraphs §218 and §219 from the penal code (11).

For us, abortions should not be part of the penal code or religious teachings but are part of basic medical care!  A pitiful regard for the restrictions in Poland only obscures the legal incapacitation of potentially pregnant individuals in Germany. Only a final deletion of paragraphs §218 and §219 from the German Penal Code will allow a self-determined decision about pregnancies!

Reproductive self-determination

It is therefore particularly important to join forces in our common fight for reproductive rights! This must not remain restricted to demanding “pro-choice” laws, because the sole focus on the right of self-determination of pregnant women causes the social conditions that strongly influence a decision to have or not have a child to be overlooked.

To make this problem visible, Black feminists* have coined the term Reproductive Justice. With the term the right to self-determination of all FLINTA* individuals is drafted differently and expanded by essential points. That is necessary because right now, people with a uterus are not only exposed to legal incapacitation regarding abortion, but they are also denied the right to become pregnant at all or to make their own decisions about delivery options (12). In order to make the choice for or against a child a truly self-determined decision for everybody, racist, queer and exploitative conditions must also be abolished.

Solidarity is our weapon

In this sense, we express our solidarity with the continuing protests in Poland! The activists are repeatedly exposed to attacks by fundamentalists and right-wingers as well as to enormous state repression. Especially during the attempts to carry the protest into the churches, there have been violent attacks on feminists.  It were parts of the government that had called for these self-organised “protective measures”.

Form gangs and get organised! Network in local feminist groups and get more information about the situation in Poland!

Aborzja jest ok! Safe Abortions everywhere! Against all anti-feminism, for full reproductive self-determination and for access to safe abortions in Poland and worldwide!

Organisations to donate to:

Ciocia Basia (Aunt Barbara) is an informal, volunteer collective based in Berlin, which helps unwanted pregnant women from Poland to have a safe and legal abortion in Germany or gives access to an abortion using medication. https://de.gofundme.com/f/support-ciocia-basia