Beitrag zu den Diskussionen ums Gendern & Veröffentlichung verschiedener Leser*innenbriefe.
Am 8. Juli berichtete die Lünepost über das Vorhaben der Stadtratsfraktion der Lüneburger Grünen, in der Kommunikation der Stadt “gendersensible” Sprache zu verwenden. Während alle zitierten FLINT* im Artikel geschlechtergerechte Sprache unterstützen, zeigt sich lediglich OB Mädge wenig überzeugt: “Gleichstellung ist keine Frage der Formulierung.” Winfried Kretschmer (Grüne / Ministerpräsident von BaWü) äußert einen Monat später, im Bezug auf Gendern, er wolle sich von der “Sprachpolizei” nicht einschränken lassen. Alle sollen reden “wie ihnen der Schnabel gewachsen ist”. Ähnlich klingen auch die Leser*innenbriefe die in der Lünepost abgedruckt wurden, und auf den Artikel reagieren. Auf die trans- inter und queerfeindlichen Bemerkungen aus diesen Briefen, werden wir hier ebenso wenig eingehen, wie auf die dort gestellte Frage, warum Menschen durch Verschweigen überhaupt ausgegrenzt würden. Wir veröffentlichen hier stattdessen Leser*innenbriefe aus unserem Bündnis, die wir geschrieben haben, weil uns das Lesen der vorherigen Briefe wütend und traurig gemacht hat. Außerdem möchten wir aufzeigen, dass Kretschmer & Co ein rechtes Argumentationsmuster mit verschwörungsideologischem Touch verwenden, um nicht nur das Gendern, sondern die dahinterstehenden Bemühungen, die feministische Kritik und die Bedürfnisse von FLINT* abzuwerten. Gegen diesen und jeden Antifeminismus wollen wir zusammen kämpfen.
Klar erschöpft sich Gleichstellung nicht in Sprache. Schön, dass das so viele verstanden haben und betonen. Aber nur weil mit dem Gendern noch nicht alles getan ist für Gerechtigkeit und Befreiung aller Geschlechter, lässt sich Sprache nicht ausklammern. Mit diskriminierender Sprache werden wir in diesen Punkten nämlich nicht weit kommen. Wenn Menschen, wie in der Lünepost, sagen mit dem “Gendersternchen sei in keinster Weise geholfen” ignorieren sie alle feministischen Stimmen die seit Jahrzehnten dafür kämpfen, dass die Sprache sich ändert. Mehr noch, sie machen sie ungültig. Sorry, aber ihr könnt nicht für andere entscheiden was “hilft”.
Als wäre nur eine von zwei Sachen drinnen, fordern einige also “lieber korrekt Handeln als korrekt Sprechen”. Schade, bei den diversen Ausführungen dazu warum Sprache und Handeln zusammen gehören habt ihr wohl nicht zugehört. Sprache wird in dieser Argumentationsschiene oft als Kleinigkeiten bagatellisiert, wobei die Verletzungen, die durch sie entstehen verharmlost werden. Über FLINT* die sich beschweren, nicht angesprochen zu werden, wird gesagt sie “fühlen” sich nicht angesprochen, sie übertreiben, spielen sich beleidigt auf. Ihnen wird ihre eigene Erfahrung der Bedeutung von Sprache abgesprochen, sie verstünden nicht das “alle mitgemeint” seien, in einer typisch weiblichen über-emotionalen, oder gar verrückten (“Gendergaga”) Reaktion verlieren sie den Bezug zur rationalen Debatte. Feministische Positionen werden dabei systematisch, durch sexistische Stereotype, delegitimiert.
Aber bei diesem Angriff auf feministische Positionen bleibt es nicht. Er wird zudem als Verteidigung inszeniert. Von einer Sprachpolizei zu reden, weckt die Vorstellung einer Gruppe die eine große Kontrolle, Macht und Gewalt auf die gesamte Gesellschaft ausübt und dabei selbst kaum kontrollierbar ist. Es macht die Position von Feminist*innen zur Herrschaftsposition, die andere bedroht und unterjocht. Diejenigen, die zum Teil Politiker*innen oder Journalist*innen großer Zeitungen sind, werden im Gegenzug zu den eigentlichen Opfern. Natürlich haben Linke, “politisch Korrekte” oder Feminist*innen weder Gewaltmonopol noch bestimmen sie den Mainstream-Diskurs. Aber diese Verdrehung der Machtverhältnisse ist eine typische neurechte Strategie die sich auch in dem Sprechen von “political correctness”, “tone policing”, “cancel culture” oder “Tugendterror” zeigt.
Am Beispiel Sprachpolizei lässt sich gut nachvollziehen in welcher Weise (von wem, in welchem Kontext) dieses Vokabular angewendet wird. Horst Seehofer (Bundesinnenminister, CSU) der für den Gebrauch des Ausdrucks „Herrschaft des Unrechts“ in Bezug auf die Einreise von Geflüchteten kritisiert wurde, weil damit auf den NS-Unrechtsstaat angespielt wird, nannte die Kritiker*innen „Sprachpolizei“. Jörg Meuthen (Vorsitzender der AfD) erregte sich Unter der Überschrift “Vergewaltigung der deutschen Sprache verhindern!”: “Orwells fürchterliches Neusprech ist gegen die Sprachpolizei der Gender-Vertreter noch geradezu harmlos.” Und Wolfgang Schäuble (Bundestagspräsident CDU) antwortete vor einigen Wochen auf die Frage, warum er rhetorische Ausfälle der AfD im Parlament eher gemäßigt sanktioniere: “Ich bin nicht die Sprachpolizei.”
Es gibt tatsächlich Verbote von bestimmten Wörtern, Symbolen oder Aussagen, diese und ihre Gründe werden von den Feind*innen der Sprachpolizei aber nicht besprochen. Stattdessen stellen sie Dinge als unsagbar und als unterdrückt dar, die sie die ganze Zeit sagen und für die sie viel Öffentlichkeit bekommen. Das kennen wir z.B. von “Israelkritik”, aber auch von rassistischen und sexistischen Statements der Sorte “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.” Dieses Bild wird dabei oft zum Verschwörungsnarrativ ausgeweitet der nahelegt es gäbe eine Zensur durch eine Elite oder das Establishment, hinter der dann z.B. eine Verschwörung gegen Männer oder Deutsche stehe. Die Rede von der Sprachpolizei nimmt z.B. oft Bezug zu Georg Orwells Roman 1984 in dem ein totalitärer Staat eine neue Sprache “New Speech” durchsetzt, um die Menschen und ihr Denken besser zu kontrollieren und beherrschen.
Die rhetorische Strategie führt dabei gezielt eine Diskursverschiebung herbei. Kritik an bestimmten Verhältnissen und Positionen wird direkt als illegitim abgewertet, in dem auf ein verdrehtes Machtverhältnis verwiesen wird: inhaltlich wird die Kritik also gar nicht aufgegriffen. Es geht nicht mehr um den kritisierten Ausdruck, z.B. das generische Maskulinum, oder darum warum etwas kritisiert wird. Eine Rechtfertigung ist damit umgangen, die kritische Position stigmatisiert und die Diskussion beendet. Dabei liegt die Diskursmacht – also der Einfluss darauf welches Thema besprochen wird, in welchem Rahmen und wie viel Raum es einnimmt – meistens eher bei denen die von „Sprachpolizei“ sprechen, z.B. Winfried Kretschmer. Dieser Coup funktioniert durch genau diese Loslösung vom Inhalt des Gesagten. Es geht abstrakt darum, dass „Meinungen“ verboten werden, dass es „Sprach- und Denkverbote“ gibt. Nicht wird gesagt, dass es konkret darum geht diskriminierende, Frauen und Queere Menschen unsichtbar machende, faschistische, rassistische, antisemitische oder shoah-relativierende Äußerungen zu “verbieten”. Wie mit bestimmten Äußerungen je nach Kontext umgegangen wird ist eine wichtige Frage. Wichtig ist aber auch das dabei differenziert werden muss. Nicht alles was gesagt, gedacht und gemeint wird ist gleich zu behandeln. Deshalb werden wir weiterhin auch auf dem Feld der Sprache, für eine gerechtere und freiere Welt kämpfen.
bye bye binaries und LG,
eure 8. März Sprach-Guerilla
Leser*innenbriefe
“hallo lünepost,
in dem artikel „Wird das * zum Standard?“ vom 8. juli fragt ihr nach ansichten zum gendern und hier habt ihr meine:
ja, lüneburg braucht geschlechtergerechte sprache. all die gestrigen meinungen jener, die es sich in einem sexistischen, zweigeschlechterten ungerechtigkeitssystem bequem machen konnten, sind für mich nur faule ausreden. her mit dem sternchen, mit der lücke, mit dem doppelpunkt. angebliche schönheit und lesbarkeit gelten nichts gegen das, was auf symbolischer, sozialer, kultureller und auch psycholinguistischer (und ja, zumindest letzteres messbar, das sind harte wissenschaftliche fakten vom feinsten) ebene passiert, dort wo gegendert wird. denn da bewegt sich gerade was in richtung etwas mehr sichtbarkeit, etwas weniger angestarrt werden, etwas weniger angst davor haben sich im öffentlichen raum zu bewegen, eine meinung zu vertreten, laut zu werden, gegen die konventionen zu gehen. jedes sternchen sagt mir „hier bist du willkommen“. jeder text, der wider besseren wissens auf dem generischen maskulinum beharrt, schleudert mir seine politische agenda entgegen: bleib stehen. geh wieder rein. wir wollen dich hier nicht dabei haben.
ob ich die lünepost lese? nur wenn´s sein muss. und das wird sich auch erst ändern, wenn ihr euch verändert und euch dazu entscheidet, mich dazu einzuladen – jetzt wisst ihr ja bescheid.
lieben gruß,
nw”
“Liebe Lünepost,
Gelebte Gleichberechtigung, wie Ulrich Mägde sie fordert, kann nicht bedeuten, dass sich Menschen weiterhin mitgemeint fühlen sollen. Wie soll ich mich als tasächlich gleichgestellt empfinden, wenn es für unnötig und kompliziert erklärt wird, mich tatsächlich anzusprechen? Es ist doch viel theoretischer, immer wieder zu betonen, dass im genereischen Maskulinum doch alle mitgemeint seien, als alle Personen direkt – praktisch – anzusprechen!
Die Realität der Welt in die Sprache holen und zu benennen, dass es z.B. Politiker*innen gibt, und nicht nur Politiker, dass halte ich nicht für Theorie, sondern für realistische Berichterstattung.
Tag für Tag setzen Personen sich dafür ein, dass sie die im Gesetzt versprochene Gleichberechtigung auch endlich als Gleichstellung im Leben erfahren, dass sie nicht als Ausnahme, sondern als Teil behandelt werden und selbst handeln können. Wie soll das möglich sein, wenn wir in (euren) Artikeln verschwinden, wenn das Erzählte nicht von allen Handelnden spricht?
Darin zeigt sich: Sprache ist Handlung und solange das Benennen Aller nicht Standard wird, ist auch die Gleichstellung Aller nicht erreicht.
viele Grüße
n”
“Hallo Lünepost,
in “Wird das * zum Standard?” zitiert ihr Ulrich Mädge mit der Aussage,
dass Gleichstellung keine Frage der Formulierung sei. Diese Aussage ist
seit langer Zeit wissenschaftlich widerlegt. Im Gegenteil:
Wissenschaftler*innen verschiedener Fachrichtungen sind sich einig, dass
Gleichstellung sehr stark mit Sprache und Wortwahl zusammenhängt. Ist es
etwa Zufall, dass wir von “Krankenschwestern” und “Müllmännern”
sprechen? Sogar das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend weist seit 2001 darauf hin, dass die Verwendung
geschlechtergerechter Sprache unabdingbar ist. Politik und Wissenschaft
sind sich einig. Warum also bietet ihr, als wichtige lokale
Informationsquelle, weiterhin denjenigen eine Plattform, die immer
wieder längst widerlegte, schädliche und verletzende Aussagen tätigen?
Hierbei geht es nicht nur um Verantwortung gegenüber euren Leser*innen,
sondern auch darum welchen Stimmen ihr in dieser Gesellschaft Gehör
verschafft.
Beste Grüße”