Der folgende Text ist ein Redebeitrag, den wir als Bündnis auf unserer Demonstration “Feministisch kämpfen – Patriarchat wegfegen” gehalten haben. Nach einiger Zeit in der Schublade, hatten wir ihn eigentlich auf der gleichnamigen Demonstration unserer Genoss*innen der Feministischen Antifa Hamburg halten wollen. Durch die Pandemie hatten wir uns kurzfristig entschieden die gemeinsame Anreise und Beteiligung auf ihrer Demonstration abzusagen und stattdessen eine eigene Demonstration in Lüneburg anzumelden.
„Wir würden ja gerne mehr Frauen in der Gruppe haben aber es gibt einfach keine Frauen die Lust auf links-radikale Politik haben“. Diesen Spruch kennen viele von uns Frauen, Lesben, trans, inter und nicht-binären Personen – abgekürzt FLINT.
Was dabei als radikal gilt, sind Ausdrücke von Stärke, Aggression, Risikobereitschaft und Härte gegen sich selbst. Ausdrücke also, die mit Männlichkeit verknüpft sind. Die mit männlicher Sozialisierung erlernt werden. Anforderungen die in der binären Geschlechterordnung an Männer gestellt werden. Weil Radikalität als Ideal einer linken Praxis gilt werden diese Anforderungen in der linken Szene übernommen. Damit wird Männlichkeit idealisiert. Nicht als wichtiger Teil radikaler Praxis gilt dagegen Emotionale Arbeit, self care, Verletzlichkeit und Zweifel. Alles Dinge die mit Weiblichkeit assoziiert werden. Weiblichkeit wird jedoch zusätzlich auf 2 weiteren Ebenen systematisch abgewertet.
Zum einen auf der Ebene von individuellem Ausdruck und Auftreten.
Performative Weiblichkeit, das Tragen von hohen Schuhen, Lippenstift, Makeup, gemachte Fingernägel gelten als nicht-emanzipiert, und werden nicht immer nur mit Blicken kommentiert. Das erlernte Redeverhalten führt dazu, dass weiblich sozialisierten Personen weniger zugehört wird, während männlich sozialisierte Menschen auch dann Gehör finden, wenn sie z.B. einfach wiederholen was eh schon gesagt wurde. In der Konsequenz müssen FLINT Personen sich um mitreden und mitmachen zu können, männlichen Umgangsformen anpassen.
Auf der dritten Ebene wird Weiblichkeit abgewertet, indem feministische Kritik abgewiesen wird. Zwar ist die Idee von Feminismus als Nebenwiderspruch mittlerweile weniger präsent. Jedoch ist der Feminismus für viele linke Macker mehr ein Profilierungsgegenstand als ernstzunehmende Politik. Dieser moderne Macker beherrscht die Vokabeln. Er gibt sich soft und feministisch. Er fordert Emo runden ein, wenn er sich selbst damit in den Mittelpunkt stellen kann. Er rettet seine eigene Männlichkeit, indem er sich von anderen abgrenzt. Problematische Männlichkeit, das sind Machogehabe, offenes Hemd und prolliges Auto. Davon mal abgesehen, dass das rassistische und klassistische Klischees sind, wird die eigene Männlichkeit hier nicht reflektiert. Das Rumgemackere in der eigenen Gruppe und männliche Ideale von Radikalität bleiben unangesprochen.
Männlichkeit ist dabei nicht nur auf dem Plenum oder in der politischen Praxis ein Problem sondern auch im Privaten. In der Gruppe verhält sich Typ korrekter, weil er beobachtet wird und weil er durch pro feministische Statements soziales Kapital sammeln kann. Privat sieht das oft schon anders aus. Da wird Beziehungsarbeit wieder hauptsächlich von Frauen übernommen, egal ob in Freundschaften oder Paartnerschaften.
Kritik von Männlichkeit in der linken Szene ist aber notwendig! Das zeigt sich nicht nur darin, wie Weiblichkeit auf unterschiedlichen Ebenen abgewertet wird, sondern eben auch in Gewalt. Auch in der linken Szene. Die Übergriffe auf dem Festival Monis Rache sind dafür ein Beispiel. Hinzu kommen zahlreiche Übergriffe in Autonomen Zentren, Wohnprojekten, Politgruppen, Freundeskreisen, Beziehungen. Die Betroffenen der Gewalt sehen sich dann meist Strukturen gegenüber, die sich als ach so reflektiert und solidarisch geben. Sie erfahren aber wenig bis keine Unterstützung. Aufklärung und Anregung zur Reflexion innerhalb dieser linken Strukturen muss immer wieder von Betroffenen geleistet werden. Außer den potentiell Betroffenen hat nach Monis Rache kaum jemand über solidarische Unterstützung und Schutzkonzepte nachgedacht. Wie kann es sein, dass übergriffiges Verhalten meistens auch im Umfeld des Täters bekannt ist, aber keiner handelt? Mangelnde Aufarbeitung, Täterschutz und die Individualisierung des Vorfalls sind nur einige der Probleme in der linken Szene. Die Reflexion eigener patriarchaler Denk- und Handlungsweisen findet kaum statt.
Unsere Organisierungsform, als FLINT-Bündnis, ist eine Reaktion auf diese Gewalt und Diskriminierung im Patriachat. Auf die Ausklammerung von Sexismus. Auf die Abwertung von Weiblichkeit. Wir treffen uns nicht im linken Infocafé, weil sich viele FLINT* hier nicht willkommen fühlen. Durch das Bündnis haben wir über die letzten 6 Monate viele FLINT* Räume geöffnet. Uns ohne cis-Typen getroffen, organisiert und Aktionen gemacht. Diese Räume sind für uns unglaublich viel wert. Viele von uns haben um den 8. März zum ersten Mal Texte geschrieben, Demos und Kundgebungen geplant, angemeldet, umgesetzt. Zum ersten Mal die Technik aufgebaut, die Funke benutzt, Fotos gemacht, Banner gemalt. Zum ersten Mal eigenständige Aktionen gemacht. Nicht weil wir vorher keine Lust hatten. Und noch viel weniger weil wir es nicht können. Das habt ihr uns, das haben wir uns selbst eingeredet. Aber was uns gefehlt hat waren solidarische Lernräume ohne Rumgemackere. Das war Empowerment durch Sichtbarkeit von anderen FLINT*. Das war eine gemeinsame Kritik am Patriachat und seinen Auswüchsen im Kleinen und Großen. Eine Kritik die wir immer noch zusammen aus unseren Erfahrungen entwickeln. Denn unsere Erfahrungen sind unterschiedlich, als Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und als trans Personen. Aber sie gehören zusammen. Sich gemeinsam aufzuregen, Angst zu haben, wütend zu werden, zuzuhören, ist keine Nebensache. Das ist Teil unseres Kampfs. Und es muss Teil unseres gemeinsamen Kampfes werden, damit wir gemeinsam eine radikale, das heißt auch feministische Praxis entwickeln können.